Nachbericht zur 33. Musikwoche Löwenstein

Uraufführungen bei der Musikwoche Löwenstein

Zwei Aufsehen erregende Uraufführungen standen im Mittelpunkt des Abschlusskonzertes der 33. Musikwoche Löwenstein am 7. April in der Kilianskirche Heilbronn. Über 300 Besucherinnen und Besucher kamen zu der Aufführung der traditionsreichen Woche, die von der Gesellschaft für deutsche Musikkultur im südöstlichen Europa getragen wird.

Die Ensembles der Musikwoche brachten unter der Leitung von Wilhelm Schmidts die Messe f-Moll von Richard Waldemar Oschanitzky zu Gehör und die bekannte Vertonung des 42. Psalms „Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser“ von Rudolf Lassel – jedoch in der bislang unbekannten Version mit Orchesterbegleitung von Paul Richter. Richard Oschanitzky (1939-1979) war einer der bekanntesten Jazzmusiker in Rumänien und eine exzeptionelle musikalische Begabung. Weil er in den sozialistischen 1950er Jahren Rumäniens in der Öffentlichkeit Jazz gespielt hatte, wurde er von der Bukarester Musikhochschule verwiesen. Er musste daraufhin als Barpianist seinen Lebensunterhalt verdienen, erspielte sich jedoch bald die Aufmerksamkeit der einzigen rumänischen Plattenfirma Electrecord und stieg zu einem führenden Arrangeur und Komponisten für Unterhaltungsmusik auf. Zur Aufnahme an die Musikhochschule hatte er mit nur 14 Jahren ein „Gloria“ für Soli, Chor und Orchester ganz in der klassisch-romantischen Tradition eingereicht. Dieses Stück wurde am 25. Dezember 1954 im Temeswarer Dom aufgeführt. Erst nach seinem Tod entdeckte sein Bruder Peter Oschanitzky weitere „klassische“ Werke, darunter auch die weiteren Teile der Messe in f-Moll.

 

Der Kirchenmusiker, Musikwissenschaftler und Musikverleger Dr. Franz Metz besorgte die Edition dieses außergewöhnlichen Werkes, das nun in Heilbronn uraufgeführt wurde. Darin zeigt Oschanitzky eine große Bandbreite an kompositorischen Ausdrucksmöglichkeiten und eine hohe emotionale Kraft gerade in den langsamen und leisen Abschnitten. Trotz seiner Jugend ist die Behandlung der Partien von Chor, Soli und Orchester meisterhaft.

 

Nicht weniger bemerkenswert ist die Entdeckung der Orchesterfassung des 42. Psalms von Rudolf Lassel (1861 – 1918) und dazu ein Beitrag zum 100. Todestag des Kronstädter Komponisten, der seine Ausbildung in Leipzig genossen hatte. Das Werk ist Teil von Lassels unvollendeter Matthäus-Passion und wurde eigentlich für Chor, Soli und Orgel geschrieben. Die farbige Gestaltung der Orgelpartie hatte eine Orchestrierung schon immer nahe gelegt. Jetzt erst wurde jedoch bekannt, dass sich im Archiv der Schwarzen Kirche in Kronstadt eine komplette autografe Fassung für Chor, Soli und Orchester aus der Hand des Lassel-Schülers Paul Richter befindet. Durch den Kantor der Schwarzen Kirche Steffen Schlandt zur Verfügung gestellt, erarbeitete der Musikverleger Frieder Latzina daraus innerhalb weniger Wochen spielfähiges Aufführungsmaterial. Im Konzert am 7. April wurde deutlich, welch eine großartige und feinsinnige Bearbeitung Paul Richter hier gelungen ist. Sie wird in den kommenden Jahren mit Sicherheit noch zahlreiche Interpretationen erleben. Frieder Latzina arbeitet derzeit an der Herausgabe des gesamten Orchestermaterials der Matthäuspassion.

 

Zu einem Ereignis wurde die Interpretation der beiden Werke nicht zuletzt, weil die mit Instrumentalisten und Sängern allen Alters besetzten Ensembles der Musikwoche in nicht einmal einer Woche zu hoher Qualität fanden und in großer Dichte musizierten. Wesentlich war dabei die stringente und mitreißende Leitung des Dirigenten und Kirchenmusikers Wilhelm Schmidts, der aus Siebenbürgen stammt und unter anderem Leiter des Universitätschores und -orchesters in Bamberg ist. Eine wunderbare, geschlossene Leistung bot das Solistenquintett mit Bettina Wallbrecht (Sopran), Renate Dasch und Heike Kiefer (Alt), Hans Straub (Tenor) und Philipp Hasper (Bariton). Nicht zu vergessen ist der herrlich klangfrische Jugendchor der Musikwoche, der das Konzert einleitete und zum ersten Mal von Christian Turck geleitet wurde. Der Karlsruher Musikpädagoge und Pianist hatte auch die Einstudierung des Orchesters übernommen.

 

Während der Musikwoche in der idyllisch in der „Schwäbischen Toskana“ gelegenen Evangelischen Tagungsstätte Löwenstein hatten sich die knapp 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ab dem 2. April freilich nicht nur auf das Abschlusskonzert vorbereitet. Von morgens bis nachts wurde Kammermusik in allen nur erdenklichen Besetzungen gemacht. In internen Vorspielabenden zeigten junge und ältere Musiker ihr Können und präsentierten Werke, die gemeinsam einstudiert worden waren. Ein besonderer Höhepunkt war dabei ein Recital von vier Gastmusikern aus dem rumänischen Iasi. Zwei von ihnen, die Oboistin Andreea Burda und der Klarinettist Emilian Clipa, hatten schon oft an der Musikwoche Löwenstein teilgenommen und wurden für ihren Einsatz am Ende mit dem Wolfgang-Meschendörfer-Nachwuchsförderpreis der Musikwoche ausgezeichnet. Undenkbar wäre die Veranstaltung ohne den Einsatz zahlreicher Dozentinnen und Dozenten, die Kammermusikgruppen anleiteten, Unterricht erteilten und Orchesterregister einstudierten. Ein Einzelnen waren dies Ilarie Dinu (Konzertmeister, hohe Streicher), Bärbel Tirler (Holzbläser), Jörn Wegmann (Blechbläser), Heike Kiefer (Sologesang), Brigitte Schnabel (Streicherkammermusik), Jörg Meschendörfer (tiefe Streicher, Salonorchester) und Liane Christian (Klavier). Die musikalische Betreuung der Kinder lag in den Händen der Musikpädagogin Dr. Dietlind Bäuerle Uhlig, unterstützt wurde sie von Patricia Togbe und Christin Schelhorn. Die Gesamtleitung der Musikwoche hatten Bettina Wallbrecht und Johannes Killyen.

 

Wieder zeigte sich, in welch bemerkenswerter Weise die Musikwoche Löwenstein wichtige kulturelle Anliegen – Pflege der Musik deutscher Komponisten aus dem Südosten Europas – mit großer gemeinschaftlicher Prägekraft verbindet. Generationen von Musikerinnen und Musikern sind damit groß geworden. Manche von ihnen, wie die Geigerin Sarah Christian, sind inzwischen deutschlandweit gefeierte Musikstars. Ohne finanzielle Förderung treuer Unterstützer würde die Musikwoche freilich längst nicht mehr bestehen. Diesmal beteiligten sich wieder das Innenministerium des Landes Baden-Württemberg, die HD Hermannstadt und die HOG der Kronstädter. Am 5. April fand im Rahmen der Musikwoche auch die Mitgliederversammlung der Gesellschaft für deutsche Musikkultur im südöstlichen Europa statt. Zuvor hatte Vorstandsmitglied Angelika Meltzer ihre kürzlich erschienene Sammlung mit Schätzen siebenbürgisch-sächsischer Volkslieder vorgestellt – ein mit unermüdlichem Fleiß und großer Kenntnis zusammengestellter Beitrag zur Bewahrung dieser Musik.   

 

Johannes Killyen