Erstmals unter Steffen Schlandt: Musikwoche Löwenstein
Über eine halbe Stunde vor Konzertbeginn strömten schon die ersten von rund 300 Zuhörerinnen und Zuhörer in die Kilianskirche Heilbronn, um das Abschlusskonzert der 34. Musikwoche Löwenstein am 27. April zu erleben. Die traditionsreiche Zusammenkunft in den Tagen nach Ostern ist mit dem gemeinsamen Auftritt von Jugendchor, Chor, Orchester und Solisten zu einem festen Bestandteil des Heilbronner Kulturkalenders geworden.
Zuvor hatten sich in der Evangelischen Tagungsstätte Löwenstein bei Weinsberg 120 Menschen aller Altersstufen getroffen, um eine Woche lang Musik zu machen, in idyllischer Natur die Gemeinschaft zu genießen und das Abschlusskonzert vorzubereiten, das in diesem Jahr erstmals unter der Gesamtleitung des Kronstädter Stadtkantors und Organisten Dr. Steffen Schlandt stand. Er setzte damit die Reihe hervorragender Dirigentinnen und Dirigenten fort, die die Musikwoche in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten geprägt haben, zuletzt Prof. Heinz Acker, Erzsébet Windhager-Geréd und Wilhelm Schmidts.
Ein Kontinuum in dieser Zeit war und ist die Augsburger Gesangspädagogin Gertraud Winter, die den Jugendchor der Woche seit Jahren und bis heute leitet. Gerade die stets über 30-köpfige Jugendformation, die die Konzerte der Musikwoche eröffnet und dies auch diesmal mit leuchtend hellem, jugendfrischem Klang tat, ist ein Markenzeichen. Denn welche musikalische Gemeinschaft kann sonst von sich behaupten, nahezu ohne Nachwuchssorgen zu sein?
Im Mittelpunkt der Musikwoche standen wie immer (das ist das Ziel) Werke von Komponisten aus den deutschen Siedlungsgebieten Südosteuropas – Werke, die meist völlig unbekannt und dennoch von erstaunlicher Qualität sind. Vermutlich zum ersten Mal seit ihrer Entstehungszeit erklang die Festouvertüre „Der geniale Dirigent“ des Kronstädter Komponisten Rudolf Lassel (1861-1918), der mehr durch seine geistlichen Werke bekannt geworden ist, in dieser eigenen Bearbeitung eines Männerchores aber in österreichischen Walzern und italienischem Furioso seine komödiantische Ader offenlegt. Der Musikverleger Frieder Latzina, der Musikwoche seit Jahrzehnten verbunden, hatte das unterhaltsame Stück für die Aufführungspraxis eingerichtet.
Ebenfalls kaum gespielt werden die „Rumänischen Fantasien“ von Paul Richter (1875-1950), einem weiteren großen Kronstädter. Richter gilt als Vollblutromantiker in deutscher Tradition mit Vorliebe zu expressiver Harmonik, hat sich vermutlich von George Enescu aber auch zu rumänischer Idiomatik inspirieren lassen und glutvolle Werke geschaffen, die es mit originalen rumänischen Kompositionen aufnehmen können. Das Orchester der Musikwoche unter Leitung von Steffen Schlandt war hier in allen Registern gefordert, bewältigte die Aufgaben aber mit Bravour und Verve. Die Pauken wurden souverän vom erst zwölfjährigen Oskar Naudé gespielt, der unterstützt wurde vom neunjährigen Ferdinand Straub – zweifellos ein Gespann mit Zukunft.
Bevor Chor und Orchester der Musikwoche in einem chorsinfonischen Abschluss zusammenfanden, boten die Sängerinnen und Sänger a cappella drei Chorsätze in siebenbürgisch-sächsischer Mundart, die in gewisser Hinsicht auch ein Löwensteiner Produkt sind: Der Satz stammte von der Norwegerin Brita Falch Leutert, seit einigen Jahren Kantorin der Hermannstädter Stadtpfarrkirche, die die von Grete Lienert komponierten Melodien einem kürzlich erschienenen Volksliederbuch entnommen hatte. Dieses wiederum hat Angelika Meltzer herausgegeben, die seit Jahren nicht nur engagierte Teilnehmerin der Musikwoche ist, sondern auch Mitglied im Vorstand der Gesellschaft für deutsche Musikkultur im südöstlichen Europa e. V. (GDMSE), Trägerverein der Musikwoche. Dirigentin der Chorsätze war die Kirchenmusikerin Andrea Kulin, die Chor und Orchester mit einstudierte.
Zum krönenden Abschluss des Konzertes rückte mit Wilhelm Franz Speer (1823-1898) schließlich das musikalische Banat in den Mittelpunkt: Speer war Domkapellmeister in Temeswar und stand mit seinem wunderbaren Requiem schon vor einigen Jahren im Mittelpunkt der Löwensteiner Musikwoche. Diesmal erklang, ebenfalls zum ersten Mal seit den 1890er Jahren, Speers „Missa solemnis“ aus dem Jahr 1879 – ein verhältnismäßig kurzes, aber dennoch sehr kontrastreiches und effektvolles Werk, in dem Chor ebenso wie Orchester und Solisten große Auftritte haben. Herausgegeben hat es in seiner Edition Musik Südost der Kirchenmusiker und Musikforscher Dr. Franz Metz, zugleich Vorsitzender der GDMSE.
Die Solopartien wurden mit Bettina Wallbrecht (Sopran), Renate Dasch (Alt), Hans Straub (Tenor) und Ulrich Pfalzgraf (Bass) glänzend und ausschließlich aus den Reihen der Musikwoche besetzt. Gerade der 22-jährige Pfalzgraf, der bislang (noch) als musikalischer Laie auftritt, verblüffte mit voller, gesetzter Stimme und erhielt am Ende der Woche zurecht den jährlich vergebenen und mit 300 Euro dotierten Wolfgang-Meschendörfer-Förderpreis. Großartig war die mitreißende musikalische Leitung und konzentrierte Einstudierung aller Ensembles durch Steffen Schlandt. Großer Applaus belohnte das Abschlusskonzert.
Im Verlauf der Musikwoche hatte es freilich noch viele weitere, tägliche Gelegenheiten zu internen Konzerten gegeben. Hier konnten sich die kleinsten Musikerinnen und Musiker ebenso einem freundlich-fachkundigen Publikum präsentieren wie die großen Nachwuchstalente, die Musik schon mit dem Engagement von Profis betreiben – etwa die 15-jährige Kronstädter Geigerin Sophie Plajer. Sie nahm auch am Recital der Studierenden aus Rumänien teil, die diesmal wieder die Woche bereicherten.
Unerlässlich für die musikalische Qualität und das Gesamtgefüge war der Einsatz der weiteren Dozentinnen und Dozenten: Liane Christian (Klavierkammermusik, Korrepetition), Agnes Dasch (Sologesang), Ilarie Dinu (Konzertmeister/hohe Streicher), Jörg Meschendörfer (tiefe Streicher), Christa Gross-Depner (Kammermusik), Bärbel Danek und Rita Marquardt (Holzbläser), Jörn Wegmann (Blechbläser), Gertraud Winter (neben Jugendchor auch musikalische Früherziehung) und Janina Heier (Kinderbetreuung). Die Organisation lag in den Händen von Bettina Wallbrecht und Johannes Killyen. Im Rahmen der Musikwoche fand auch die Mitgliederversammlung der GDMSE statt. Ins Auge gefasst wurde für kommendes Jahr die Organisation eines wissenschaftlichen Symposiums parallel zur Musikwoche am gleichen Ort.
Nicht möglich gewesen wäre die Durchführung der Musikwoche ohne die Unterstützung des Innenministeriums Baden-Württemberg, der Kulturreferentin für Siebenbürgen/der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Heimatgemeinschaft der Deutschen aus Hermannstadt sowie der HOG der Kronstädter. Bereits Ende 2018 hatten zahlreiche Menschen Geld gespendet für die Musikwoche anlässlich des plötzlichen Todes von Hansgeorg Killyen, der Mitglied im Vorstand der GDMSE war und langjähriger Teilnehmer der Woche. Die Familie und die Gesellschaft sind überaus dankbar für diese Unterstützung.
Johannes Killyen