Johann Leopold (Jan Levosláv) Bella (1843-1936)

Statt rein biografischer Informationen finden Sie hier eine Rezension der folgenden CDs:

 

Ján Levoslav Bella:

Streichquartett c-Moll; Streichquintett d-Moll

Moyzes-Quartett mit František Magyar (2.Viola)

Marco Polo 1995 (LC 9158)

 

Sonate b-Moll; Klavierstück c-Moll; Variationen über "In Pressburg an der Donau" op. 9; Variationen über "Letí, letí roj" op. 21; Sonatine e-Moll; 4 kleine Stücke.

Marco Polo 1994 (LC 9158)

 

Ján Levoslav Bella - katholischer Priester und slowakischer Nationalkomponist. Handelt es sich da wirklich um den gleichen, der unter dem deutschen Namen Johann Leopold Bella durch seine über 40-jährige Tätigkeit als Evangelischer Stadtkantor zum Protagonisten des Hermannstädter Musiklebens wurde? Was auf den ersten Blick wie eine Persönlichkeitsspaltung aussieht, ist zum guten Teil vielleicht auch Produkt der Musikgeschichtsschreiber.

 

Denn in der Slowakei, wo Bella 1843 in Liptovsky Sv. Mikuláš zur Welt kam, gilt der Lehrersohn ungeachtet seiner siebenbürgischen "Exilzeit" noch heute als Nationalkomponist, und slowakische Musikforscher nahmen sich seiner gebührend an. Der überwiegende Teil der Bella-Literatur ist in Slowakisch erschienen, so dass sie in deutschsprachigen Regionen kaum zur Kenntnis genommen werden konnte.

 

In Siebenbürgen hat man sich - vielleicht aus diesem Grund - bisher meistens nur für den Hermannstädter Bella interessiert, der 1881 als Nachfolger von Hermann Bönicke die Funktionen des Stadtkantors, Organisten, Gymnasial- und Seminarmusikdirektors sowie des Musikdirektors und Kapellmeisters am Musikverein in Hermannstadt übernahm. Kaum jemand kennt den vorherigen Lebensweg des Komponisten: In Banská Bystrica studierte er katholische Theologie, nahm in Wien Kompositionsunterricht beim berühmten Simon Sechter (bei dem schon Schubert und Bruckner studiert hatten), wurde in Banská Bystrica 1866 zum Priester geweiht, nahm 1870 die Stellung des Musikdirektor in Kremnica an und kam 1881 schließlich nach Hermannstadt - wo er sich von der katholischen Religion gänzlich lossagte und 1882 heiratete. All das ist in Siebenbürgen kaum bekannt und auch von den zahlreichen Kompositionen Bellas weiß man hier höchstens um die Chorwerke.

 

So kann man den Entdeckungsdrang des CD Labels Marco Polo (der Name ist hier Programm), das vor kurzem zwei CDs mit Klavier- und Kammermusikwerken Bellas herausgegeben hat, nicht genug loben. Die Neuveröffentlichungen enthalten einerseits Klavierwerke aus den Jahren 1866 bis 1882 und andererseits das Streichquartett c-Moll sowie das Streichquintett d-Moll. Zum Widerspruch regt lediglich der in Englisch gehaltene Text des CD-Covers (Autor ist vermutlich ein slowakischer Musikwissenschaftler) an, der die lange Hermannstädter Zeit Bellas ganz offensichtlich herunterspielt und nur für die in der Slowakei komponierten Werke ein genaues Entstehungsdatum angibt. Das gilt vor allem für die in Hermannstadt entstandene Streicherkammermusik.

 

Dabei sind gerade das Streichquartett c-Moll und das Streichquintett d-Moll wahrhaft aufregende Kompositionen. Hier ist Bella, der auch Geiger war, voll in seinem Element, die Streicherklangfarben setzt er vorbildlich ein. Am späten Beethoven geschult entwickelt er durchaus seine eigene Musiksprache, die in ihrer Melodienhaftigkeit und in ihrem Tonfall manchmal an Dvorák erinnert, jedoch nie wie ein Plagiat wirkt - zwei reife Werke. Dass die Werke vom Moyzes-Quartett vorbildlich gespielt werden, trägt zu diesem Eindruck wesentlich bei.

 

Demgegenüber überzeugen die Klavierkompositionen - von den vier kleinen Stücken bis zur großen b-Moll-Sonate - weniger. Obwohl Bella natürlich auch Pianist war, scheint es, als habe er Klavierwerke aus dem Geiste des Streichquartetts, des Orchesters, manchmal auch der Orgel heraus verfasst. Der von Liszt abgeschaute heroische Gestus überwiegt, und was durch Farben mehrerer Instrumente durchaus ansprechend geraten wäre, wirkt allzu oft nur wie unmotiviertes Geklingel. Vielleicht hätte die Pianistin Daniela Ruso auch mit etwas mehr Feingefühl agieren können. All diese Klavierwerke aus den 60-er-, 70-er- und frühen 80-er Jahre wichen später - das scheint die Streicherkammermusik zu bestätigen - einem differenzierter Stil. Ein Grund mehr, die in Hermannstadt entstandenen Kompositionen in Zukunft genauer unter die Lupe zu nehmen.

 

Als Fazit der beiden CDs lässt sich feststellen, dass mit Johann Leopold Bella ein Mann das Hermannstädter Musikleben 40 Jahre lang bestimmt hat, der sich in Siebenbürgen zwar zu Hause fühlte, dessen gesamte Persönlichkeit den meisten Siebenbürgern jedoch unbekannt geblieben sein dürfte. Besonders tragisch wirkt sich in diesem Zusammenhang aus, dass Bella nach 1918 offensichtlich die rumänische Staatbürgerschaft verweigert wurde und er sich daher genötigt sah, 1921 (also im Alter von 78 Jahren!) nach Wien auszuwandern. Hier verbrachte er sieben Jahre, um 1928 hochbetagt nach Pressburg zurückzukehren, wo er erst 1936 starb.

 

Wer aber führt heutzutage noch Bellas Kammermusik in Siebenbürgen oder in Deutschland auf, wer interessiert sich für Bellas Oper Wieland der Schmied, die eher einen überzeugten Wagnerianer verrät und so gar nicht zum Image des slowakischen Nationalkomponisten passen will? Wer liest seine musikhistorischen, -ästhetischen und -praktischen Abhandlungen? Karl Teutschs Artikel zum 150. Todestag von Johann Lukas Hedwig in der Siebenbürgischen Zeitung vor Augen wird immer deutlicher, dass in Siebenbürgen noch viele musikalische Quellen - vor allem die des 19. Jahrhunderts - nicht ausgeschöpft sind.

 

Johannes Killyen